Ist doch alles gut bei dir, oder?

Seit meiner Kindheit wundere ich mich darüber, wie Menschen, die äußerlich ein gutes, ordentliches Leben führen, solche Leidensmienen haben können. Ihre Gesichter erzählen vor allem eine Geschichte von Last, Druck, Stress, Verzicht und Enttäuschung. Je älter ich wurde, desto mehr musste ich mir beim Blick in den Spiegel eingestehen, dass es bei mir auch nicht viel anders war. Trotz bester Vorsätze.

Von gutmeinenden Mitmenschen hörte ich oft: “Lass doch, ist doch alles gut bei dir.” Innerlich war aber wenig in Ordnung. Das war schon als Teenager so. Ich traute mir nicht viel zu und war unglücklich. Heute würde ich sagen, mir fehlte es an innerer Orientierung. Damals begann ich, ernsthaft nach Alternativen für mein Leben zu suchen. In einem psychologischen Ratgeber fand ich ein Zitat von Fritz Perls, dem Vater der Gestalttherapie:

„Ich bin ich und du bist du.
Ich bin nicht dafür da, deine Erwartungen zu erfüllen
und du bist nicht dafür da, meine Erwartungen zu erfüllen.
Wenn wir uns zufällig treffen – wunderbar!
Wenn nicht, dann kann man auch nichts machen.“

Fritz Perls

Als ich dieses Zitat, das auch „Gestaltgebet“ genannt wird, zum ersten Mal las, war das für mich geradezu revolutionär. Fritz Perls meint damit, dass es im Kontakt mit anderen zuerst darauf ankommt, bei sich zu bleiben. Ich verstehe das nicht als selbstsüchtigen Egoismus. Vielmehr geht es darum, Verwirrung zu vermeiden. Und das funktioniert am besten, wenn ich mich ungefragt nicht in die Angelegenheiten meiner Mitmenschen einmische, nicht einmal gedanklich, und wenn ich nicht ungeprüft deren Überzeugungen für mich übernehme.

Selbstoptimierung bringt nicht die Lösung

Für mich war das ein wichtiger Wendepunkt. Ich erkannte, dass ich mehr oder andere Möglichkeiten brauchte, wenn ich mir selbst helfen und etwas verändern wollte. Ich begann zu experimentieren, indem ich mich bewusst in ungewohnte Situationen begab. Ich las sehr viel und später hatte ich viele Coachings, Retreats, Workshops und Ausbildungen mit Lehrern ganz verschiedener Richtungen. Am intensivsten vertiefte ich mich in Yogapraxis und Meditation – die ich bis heute nicht missen möchte.

Mit diesem wachsenden Know-how kam ich in 25 Jahren als Zeitungsredakteur sicher etwas besser durch diesen Stress-Job. Was ich dabei aber schmerzlich realisierte: Leistungswille, Selbstoptimierung und Dogmen bringen mich ebenso wenig weiter, wie rein intellektuelle Erkenntnisse.

Ehrliches Feedback und Achtsamkeit als Schlüssel

Letztlich brauchte ich für mich rätselhafte nächtliche Panikattacken, um festzustellen, dass sich in mir dasselbe abspielt, was ich bei anderen Menschen bis dahin mit Verwunderung und auch Unverständnis beobachtete: Ja, ich hatte Ängste. Ich war sehr selbstkritisch. Ich unterdrückte Aspekte von mir und bemerkte das nicht einmal. Ich war zu oft unehrlich mit mir selbst und ich ging ziemlich respektlos mit meinen Leistungsgrenzen und meinem Erholungsbedürfnis um – bis mein Körper streikte. Meine gelernten Methoden halfen mir schon. Aber nicht so, wie ich es mir gewünscht hätte.

Viel besser war es, mich einem verständnisvollen und emotional kompetenten Menschen so zu zeigen, wie ich tatsächlich bin. Wichtig war für mich dabei, mich gesehen und angenommen zu fühlen. Auf dieser Basis entdeckte ich in der Gestalttherapie den eigentlichen Schlüssel für Veränderung: die Begegnung mit anderen Menschen, die achtsam sind, und mir in dieser Haltung Raum und ehrliches Feedback geben.

Seitdem weiß ich: Wenn ich mich im Vertrauen zeigen kann, wie ich wirklich bin, dann lässt Stress nach, innere Ruhe macht sich bemerkbar. Ich werde ehrlicher mit mir – und vor allem freundlicher. Wunden können heilen.

Der Moment, wenn andere zu sich selbst finden

Übrigens liebe ich diese Momente auch von der anderen Warte aus – wenn ich miterlebe, wie Menschen immer mehr Vertrauen fassen, wie sie zu sich selbst kommen, wie sie sich mit ihren Gefühlen immer mehr zeigen, ihre eigenen Möglichkeiten entdecken und wieder fähig werden, den Wandel zu einem gelingenden Leben für sich selbst einzuleiten.

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Hinweis: Die Texte in diesem Blog sind in keiner Weise als Anleitung für eine Eigenbehandlung gedacht und dafür in dieser Form auch nicht geeignet. Sie enthalten nur Ausschnitte oder grobe sowie unvollständige Zusammenfassungen einer tatsächlichen Therapie. Wenn du schwere Belastungen, Probleme oder Symptome hast, komm bitte zu mir, zu einem anderen Heilpraktiker, Arzt oder Psychotherapeuten.

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