Wenn ich zu Beginn einer Therapie nachfrage, was mein Klient oder meine Klientin von sich selbst denkt, dann höre ich häufig Antworten wie: „Auf jeden Fall nichts Gutes.“ Hand aufs Herz, gehst du auch ganz selbstverständlich davon aus, dass du nicht in Ordnung bist? Meist ist das verbunden mit der Überzeugung, dass andere ebenfalls schlecht über uns denken. Damit sind dann alle anderen gemeint. Wir hinterfragen das nicht, sondern gehen davon als Tatsache aus, dass wir nicht genügen. Ich bin so, die Welt ist so, weil es immer so war.
Aber könnte es nicht auch sein, dass das gar nicht stimmt? Dass es nur eine Vorstellung ist, eine Schlussfolgerung aus bestimmten Erlebnissen? Dass es sich nicht um die Realität, sondern um ein erschüttertes oder beschädigtes Selbstbild handelt, was viele weitere Probleme nach sich zieht, wie ein verringertes Selbstvertrauen, einen geringen Selbstwert, Scham, Schuld, Unsicherheit im Kontakt mit anderen Menschen, selbstschädigende Kompensationsstrategien.
In meiner Arbeit gehe ich immer davon aus, dass sich ein kleines Kind, sagen wir bis 5 Jahre, noch nicht selbst abwerten würde. Das gilt solange, bis es oft genug negatives Feedback von seinen engen Bezugspersonen erhalten hat und irgendwann glaubt, dass es „ein Störenfried“, „eine Nervensäge“, „eine Zumutung“, „laut“, „unfähig“, „dumm“, „böse“, „hässlich“, „nicht gut genug“ und so weiter ist. Als Kind müssen wir so etwas glauben und übernehmen, weil wir stark abhängig sind von den Meinungsführern, den uns umgebenden Erwachsenen. Wir wollen und wir müssen Schwierigkeiten vermeiden und wir sind angewiesen auf die grundlegende Orientierung, die uns „die Großen“ in der Welt geben.
Ein Kind weiß normalerweise nicht, dass Erwachsene eigene bewusste oder unbewusste Absichten verfolgen, dass sie subjektiv sind, dass sie aus ihrer eigenen Geschichte heraus selbst ein verzerrtes Weltbild haben und uns eventuell gar nicht wirklich sehen. Sie haben ihre eigene Brille auf. Das Fatale daran ist, dass sich aus diesen Bewertungen, Urteilen, Verurteilungen und Zuweisungen unser Selbstbild entwickelt, worunter wir ein Leben lang leiden können.
Deshalb ist es gut, irgendwann im Leben die Brille zu wechseln. Spätestens als Erwachsene können wir das: die fremden Urteile ablegen oder zumindest hinterfragen. Wir setzen uns gewissermaßen unsere eigene Brille auf. Wir können dann Überzeugungen, die aus unserer Kindheit und Jugend stammen, auf ihren Realitätsgehalt in unserem heutigen Leben hin überprüfen. Dieser Wirklichkeitscheck ist wesentlicher Teil meiner Arbeit.
Ist es für dich auch Zeit für einen Brillenwechsel?
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Hinweis: Die Texte in diesem Blog sind in keiner Weise als Anleitung für eine Eigenbehandlung gedacht und dafür in dieser Form auch nicht geeignet. Sie enthalten nur Ausschnitte oder grobe sowie unvollständige Zusammenfassungen einer tatsächlichen Therapie. Wenn du schwere Belastungen, Probleme oder Symptome hast, komm bitte zu mir, zu einem anderen Heilpraktiker, Arzt oder Psychotherapeuten.
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