„Egoismus geht gar nicht.“ Diese Überzeugung ist mir schon bei vielen Mitmenschen und auch Klienten begegnet. Ich widerspreche nicht immer sofort, aber ich bin doch ganz anderer Meinung. Egoismus ist unbedingt notwendig. Das freilich auf gesunde Art und nicht im falschen Gewand von Egozentrik.
Wenn ich zu selbstlos bin, also sehr ausgeprägt oder sehr lange, dann kann das in bestimmten Situationen und Lebensphasen zwar gut, richtig und auch eine Tugend sein, aber wenn ich mich dabei allzu sehr verliere, schade ich mir selbst. Dann geht es zwar anderen gut, mir aber nicht. Und das bedeutet, dass ich über kurz oder lang, nicht mehr auf eine gesunde Weise für andere da sein kann. Ich verliere den Bezugspunkt zu mir selbst und laufe damit Gefahr, im Mangel zu leben.
Stille Hoffnung führt zu Enttäuschung
Denn wenn ich praktisch nicht vorkomme in meinem eigenen Leben, wie könnte ich mir dann wichtige Bedürfnisse erfüllen? Das wäre dann eher eine Frage des Zufalls oder der doch still und heimlich in mir vorhandenen Erwartungshaltung gegenüber anderen. Dies kann dann zu herben und anhaltenden Enttäuschungen führen.
Gerade wenn es in der herausfordernden und anspruchsvollen Lebensmitte nicht rund läuft, kann sich das sehr schmerzlich bemerkbar machen. Das kann bis hin zu innerer Leere, Sinnlosigkeit, Erschöpfung und erheblichem Frust führen. Wer sich jahrelang nur nach äußeren Erwartungen gerichtet hat, merkt plötzlich, dass ihm etwas fehlt und meistens schon lange.
Woher kommt diese Überzeugung?
Meistens läuft dies unbewusst in uns ab. Wer damit beginnt, sich mit seinem Innenleben zu beschäftigen, bemerkt dann recht bald eigene Überzeugungen, die diese eher starre innere Haltung bewirken. Hier ein paar Beispiele:
„Ich bin nur wertvoll, wenn ich für andere da bin.“
„Es ist falsch, an sich selbst zu denken.“
„Wenn ich Nein sage, enttäusche ich andere und werde abgelehnt.“
„Egoisten sind schlechte Menschen.“ Oder: „Egoisten sind rücksichtslos.“
„Ich muss es allen recht machen, sonst bin ich egoistisch.“
„Ich bin verantwortlich für das Glück anderer.“
Woher kommen diese Sätze? Habe ich sie mir selbst ausgedacht und auferlegt? Würde ich das wieder tun, wenn ich freie Hand hätte? Es kann dann hilfreich sein, der Sache auf den Grund zu gehen. Oft finden sich dann in der Vergangenheit sich aufopfernde Vorbilder, meistens ein Elternteil, oder Vater und Mutter, die Anpassung und Bescheidenheit forderten. Auch von Bezugspersonen eingeimpfte Schuldgefühle können eine große Rolle spielen, ebenso schlechte Erfahrungen mit egozentrischen Menschen. Kulturelle oder religiöse Prägungen können ebenfalls maßgeblich sein.
Es geht um einen wohlwollenden Selbstbezug
Noch einmal zur Verdeutlichung: Es geht hier nicht darum, nur noch auf sich selbst zu schauen und nichts anderes mehr gelten zu lassen oder über andere hinweg zu gehen. Es geht um eine gesunde Balance und einen möglichst freundlichen und wohlwollenden Selbstbezug, der es ermöglicht, mit weniger Anstrengung ebenso freundlich und wohlwollend mit anderen umzugehen.
In Therapie oder Coaching kann es dann darum gehen, die eigenen verzerrten Vorstellungen wieder gerade zu rücken. Themen sind dabei unbewusste beherrschende Glaubenssätze, Grenzen zu setzen ohne Schuldgefühle, das eigene Nein nicht als Ablehnung anderer zu interpretieren und letztlich die unbeschwertere Orientierung am eigenen inneren Ja und Nein (Selbstbestimmung).
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Hinweis: Die Texte in diesem Blog sind in keiner Weise als Anleitung für eine Eigenbehandlung gedacht und dafür in dieser Form auch nicht geeignet. Sie enthalten nur Ausschnitte oder grobe sowie unvollständige Zusammenfassungen einer tatsächlichen Therapie. Wenn du schwere Belastungen, Probleme oder Symptome hast, komm bitte zu mir, zu einem anderen Heilpraktiker, Arzt oder Psychotherapeuten.
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